Si vis pacem para bellum - Freiheit hat einen Preis

Si vis pacem para bellum - Freiheit hat einen Preis

Wenn ihr nach Hause geht, erzählt ihnen von uns und sagt ihnen, daß wir für ihr Morgen unser Heute gaben.

John Maxwell Edmonds

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Der zweite leere Stuhl



Kriege beginnen, wann immer du es willst, aber sie enden nicht, wenn du darum bittest.

                                                                                                                             Machiavelli


Name: Steven Robert Koch                                           Name: Lynne Clarissa Koch
Rang: Corporal ( Stabsgefreiter, posthum)                   Schwester von Steven R. Koch
Einheit: 508. Fallschirmjägerregiment, US - Army         
Alter: 23                                                                        Alter: 29
aus: Milltown, New Jersey, USA                                                                       
Gefallen: 3.März 2008, Bezirk Sabari, Afghanistan      Gestorben: 6.Mai 2010, East Brunswick,                                                                                                                                         New Jersey, USA
Operation Enduring Freedom


Bildquelle: findagrave.com





Ich wünschte, sie hätte Recht, dachte der Offizier, als die Fäuste der zierlichen Frau gegen seine Schultern hämmerten. „ Nein, Sie sind falsch informiert“ schrie Christine Koch die beiden Männer in den grünen Armeeuniformen an, denen sie und ihr Mann William gerade ihre Tür geöffnet  hatten „ das ist das falsche Haus, Sie meinen einen anderen Soldaten. Mein Sohn kommt wieder nach Hause!“

Wie für viele  Menschen in den USA und anderswo auf der Welt  war der 11.September 2001 für Steven Koch eine einschneidende Zäsur in seinem Leben. Die Bilder der einstürzenden Doppeltürme und die stundenlange Ungewissheit, ob sein älterer Bruder Billy, der in New York studierte und in der Nähe des World Trade Centers arbeitete, das Inferno überlebt hatte, seine Erzählungen über die Menschen, die vor seinen Augen aus den brennenden Wolkenkratzern in den Tod sprangen, weckten in dem 16jährigen den Wunsch, seinem Land zu dienen und in die Armee einzutreten.

Christine Koch versuchte ihren Sohn mit allen Mitteln von seinem Vorhaben abzubringen, zu groß war ihre Angst, ihn an den Krieg zu verlieren. Lange war Steven zwischen der Liebe zu seiner Mutter und seinem Pflichtgefühl hin und her gerissen, doch im März 2006 gab es für ihn kein Halten mehr. Er schloß sich der 82.Fallschirmjägerdivision an und absolvierte seine Ausbildung in Fort Benning, Georgia.
Im Januar 2007 verabschiedete sich der junge Ehemann und frischgebackene Vater von seiner Frau Amy und der gerade geborenen Tochter Zoe , als seine Einheit nach Afghanistan verlegt wurde.
    
Steven, Amy und Zoe ( Bildquelle:njrunforthefallen.org)


Gegenüber Kameraden und Angehörigen ließ Steven nie einen Zweifel aufkommen, dass er vom Sinn seiner Mission zutiefst überzeugt und bereit war, den höchsten Preis zu zahlen.
 „ In einhundert oder mehr  Jahren wird es ohne jeden Belang sein, in welchem Haus ich gewohnt, wie viel Geld ich verdient oder welches Auto ich gefahren habe. Aber die Welt könnte dann eine andere, bessere sein, weil ich im Krieg gegen den Terror meinen Posten nicht verließ, nachdem ich Freunde und Kameraden verlor. Wenn ich dafür durch die Hölle gehen muß, gehe ich einfach weiter. Wenn ich mein Blut über unsere Fahne vergießen muß, damit ihre Streifen rot bleiben, dann werde ich bluten …“ schrieb Steven Koch in einem Brief an seine Eltern.

Anfang des Jahres 2008 neigte sich Stevens  Dienstzeit in Afghanistan ihrem Ende zu. Er freute sich darauf , im April seine Frau Amy und die dann 15 Monate alte Tochter Zoe wiederzusehen, rief mindestens zweimal am Tag zuhause an. Die junge Familie schmiedete Pläne für die Zukunft, wollte nach Fort Bragg in Kentucky, Stevens Stationierungsort umziehen. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Am 3. März 2008 zündete ein Selbstmordattentäter seine Autobombe unmittelbar neben dem Gebäude, in dem die Fallschirmjäger untergebracht waren. Das zusammenstürzende Mauerwerk begrub die Soldaten unter sich, tötete Steven und einen weiteren Kameraden, verwundete viele weitere.
Steven Kochs Leichnam wurde in seiner Heimatstadt Milltown, New Jersey mit einer beeindruckenden militärischen Zeremonie empfangen und auf dem Nationalfriedhof Arlington beigesetzt. Vor der Grundschule, die er besucht hatte, errichtete man einen Gedenkstein, ein Festsaal im Militärstützpunkt Fort Dix wurde nach  ihm benannt.

Christine, William und ihre Tochter Lynne erwarten die Ankunft  von Stevens Sarg, 10.03.2008  (Bildquelle:njrunforthefallen.org)


Lynne Koch, Stevens ältere Schwester, starb einen viel leiseren, viel einsameren Tod.

Lynne  musste  in ihrer Kindheit wegen psychischer Probleme und einer manisch-depressiven Erkrankung therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Erst als sie ins Teenageralter kam, fand sie ihre Fröhlichkeit und  Lebensfreude wieder, besonders die Liebe zu ihren kleinen  Brüdern Billy und Steven gab ihr Kraft und Halt.  „Ich nannte sie scherzhaft ihre kleine Mutter. Sie folgte ihnen auf Schritt und Tritt, wollte sie vor allem beschützen“, erinnerte sich Christine Koch.

Nach ihrem Schulabschluß fand Lynne eine Anstellung in der Elektrofirma ihres Vaters, doch der Militärdienst ihres Bruders Steven  veränderte Lynnes heile Welt von Grund auf. Sein Tod auf dem Schlachtfeld ließ die Illusion, ihre jüngeren Geschwister vor allen Widrigkeiten des Lebens bewahren zu können, wie eine Seifenblase zerplatzen.
Zur Einweihung des Gedenksteines vor der Grundschule in Milltown, die alle drei Geschwister besucht hatten, hielt Lynne Koch eine aufwühlende Rede, in der sie unter anderem sagte:

„…Das Herz ist untröstlich, in Stücke zerrissen, für immer in Tränen versunken. Wir empfinden diese Tage als ein Geheimnis, das uns vergeblich durch ein Labyrinth aus Trauer, Verweigerung, Zorn und Verwirrung irren läßt. Obwohl wir weinen, trauern und hassen gehen wir vorwärts, aber wir kommen nicht voran. Wir sind dazu unfähig, unser tägliches Leben wurde auf tragische Weise aus unserem Sein gerissen. Der Aufgang der Sonne, der Beginn so vieler neuer Dinge, erscheint jetzt wie die verwelkten Blätter, die am Ende des Sommers von den Blumen fallen. Ich kann die Pracht dieses Sonnenaufgangs nicht mehr erkennen, er spendet mir keinen Trost. Ich finde keine Hoffnung in einem neuen Tag. Mein Bruder ist gegangen. …“

Vielleicht erkannte manch einer der Anwesenden den Hilfeschrei einer gequälten, zutiefst verzweifelten Seele,doch keiner vermochte, das Ausmaß der sich anbahnenden Tragödie zu erahnen, niemand war in der Lage, sie zu verhindern.
Christine Koch und Lynne vor Stevens Denkmal, Milltown,NJ, 25.10.2008 (Bildquelle.Facebook)


Unfähig, den Tod ihres geliebten Bruders zu verarbeiten, verfiel Lynne einer tiefen Depression. In ihren Träumen sah sie Steven irgendwo in Afghanistan am Leben. Verzweifelt klammerte sie sich an diese Illusion, die Grenze zwischen Wahn und Realität begann zu verschwimmen.
Als Lynne fast ein Jahr später ihrer Mutter in einer email gestand, sie habe jetzt realisiert, daß Steven niemals zu ihr zurückkehren würde, sahen Freunde und Angehörige ein hoffnungsvolles Zeichen. In Wahrheit  hatte die Totenglocke zu läuten begonnen. Der Lebenswille der jungen Frau war zerbrochen.
Lynne verbrachte Tage weinend, nach ihrem Bruder rufend. Ihr besorgter Freund, der die Selbstmordgedanken ahnte, brachte sie in eine Klinik, in der sie aber nur eine Woche blieb.

Am frühen Morgen des 7.Mai 2010 öffneten Christine und William Koch erneut zwei Männern ihre Tür. Dieses Mal trugen sie die blauen Uniformen der Polizei.
Christine sah in das aschfahle Gesicht des Polizisten, dann brach sie weinend auf der Schwelle ihres Hauses zusammen

 Lynne schien alles akribisch geplant zu haben. Sie schrieb ihren Eltern eine email, dass sie sie über alles liebe. Ihren besorgten Vater, der sie sofort anrief, beruhigte sie, alles sei in Ordnung.  Sie legte Abschiedsbriefe an ihre Eltern und ihren Bruder Billy  neben die Sachen, in denen sie bestattet werden wollte – ein schwarzes Kleid und ein Diamantkollier – auf ihr Bett . Dann schluckte sie einen tödlichen Cocktail aus all den Medikamenten, die man ihr verschrieben hatte, um ihre seelischen Qualen zu lindern .

William Koch begann seine Trauer in Gedichten zu verarbeiten, die er zunächst auf seiner Facebookseite und dann als Buch veröffentlichte. Er nannte den kleinen Band  „ Kriegsgefallene“, denn für Christine und ihn ist nicht nur Steven, sondern auch ihre Tochter Lynne ein Opfer dieses Krieges. „ Egal, was andere denken oder sagen, wäre Steven heil aus Afghanistan zurückgekehrt dann hätten wir auch Lynne heute noch bei uns“ war sich Christine sicher. Ihr Mann ergänzte:  „ Die Ärzte erklärten mir, sie starb an einem posttraumatischen Streßsyndrom. Für mich heißt das: Lynne starb an ihrem gebrochenen Herzen“. Er fügte hinzu: „ Nach Stevens Tod wandelten wir alle auf dieser Linie, Lynne war die einzige, die sie überschritt.“

Auf dem Cover von William Kochs Gedichtband sind zwei leere Stühle in einem leeren Raum zu sehen, doch der Eindruck täuscht. Das Wohnzimmer im Haus der Kochs in Milltown ist nicht leer, es ist ein Schrein für ihre toten Kinder.
Bildquelle: amazon.com


„Vieles davon sind Geschenke, die wir von anderen Menschen bekamen“, sagte William Koch. Eine Decke mit Portraits von Lynne und Steven, angefertigt von einem Nachbarn, ist über einen Stuhl drapiert, darüber zwei Bleistiftzeichnungen beider Geschwister, von denen eine der Künstler Michael Reagan schuf, der diese Ehre der Familie jedes Gefallenen unentgeltlich erweist. Eine Vitrine enthält Stevens offizielles Militärporträt, die Flagge seiner Beerdigung, seine Militärauszeichnungen.
Die Erinnerungen scheinen den Raum zu überfluten, doch die  herzzerreißendsten  Bilder hängen  an den Wänden:  Die drei kleinen Koch – Geschwister, die große Schwester Lynne, der kleine Steven, der mittlere Bruder Billy  nebeneinander auf dem Sofa sitzend , Bilder der Erstkommunion aller drei, schließlich Billy bei seinem Schulabschluß, flankiert von seinen jetzt toten Geschwistern.
„All unsere Hoffnungen, all unsere Träume, für immer in diesem Zimmer begraben. Nur sehr, sehr wenige Menschen können überhaupt verstehen, wie traumatisch das für eine Familie ist.“, so William Koch.

Schulabschluß von Billy Koch, 2000, v.l.n.r William, Steven,Billy, Christine, Lynne (Bildquelle:Facebook) 
                                                                                                                    
Anfangs zog sich William zurück, begann das Leben eines Einsiedlers zu führen. „ Doch wozu sollte das gut sein? Das Leben muß weitergehen“, sagte er.
Er entschloß sich, offensiv mit seinem Schicksal umzugehen, seine Trauer und seine Gedanken nach außen zu tragen. Er nimmt mit seinem Truck, den er mit Bildern von Steven und Lynne dekoriert hat, an Paraden zum Nationalfeiertag und Gefallenengedenktag teil, organisiert Geprächsrunden und liest öffentlich aus seinen mittlerweile zwei Gedichtbänden. Vor allem aber versucht William Koch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die seelischen Leiden der Angehörigen gefallener Soldaten zu lenken. „ Die Menschen vergessen, daß für uns der Krieg nie zu Ende ist, oder sie wollen es gar nicht erst wissen. Umso wichtiger ist es, daß wir ihnen helfen, zu verstehen.“ sagte er.

Christine und William Koch lassen daß Aussehen ihres Wohnzimmers unverändert, seit ihre Kinder starben, lediglich ein kleiner, schmuckloser Weihnachtsbaum kam vier Jahre nach Stevens Tod erstmals hinzu. „ Wir können keine Feiertage mehr begehen, Lichter- und Blumenschmuck nicht mehr ertragen“, sagte William.
Dafür ließen sie eine alte Tradition, entstanden im zweiten Weltkrieg und seitdem fast in Vergessenheit geraten, wieder aufleben. Ein kleiner, goldener Stern im Fenster zeigt den Vorübergehenden, daß hier eine Familie wohnt, die Angehörige im Krieg verloren hat.

Christine Koch an Stevens Grab, Juli 2010 (Bildquelle:nyrunforthefallen.org)


Für Christine und William gibt es nur noch das Leben, so wie es jetzt ist.
Kein Weihnachten, kein Thanksgiving, kein Plüschtier für die Tochter zum Valentinstag, keinen Blumenstrauß von einem jungen Soldaten zum Muttertag und zwei Gräber. Aber auch die Freude über das Glück ihres letzten lebenden Sohnes Billy, der im November 2013 Laarni, die Liebe seines Lebens heiratete.



Steven Robert Koch (1984-2008)            Lynne Clarissa Koch ( 1981-2010)



     EHRE IHREM ANDENKEN       -         SIE SIND UNVERGESSEN





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