Kriege beginnen, wann immer du es willst, aber sie enden
nicht, wenn du darum bittest.
Machiavelli
Name: Steven Robert Koch Name: Lynne Clarissa Koch
Rang: Corporal ( Stabsgefreiter, posthum) Schwester von Steven R. Koch
Einheit: 508. Fallschirmjägerregiment, US - Army
Alter: 23 Alter: 29
aus: Milltown, New Jersey, USA
aus: Milltown, New Jersey, USA
Gefallen: 3.März 2008, Bezirk Sabari, Afghanistan Gestorben: 6.Mai 2010, East Brunswick, New Jersey, USA
Operation Enduring Freedom
Bildquelle: findagrave.com |
Ich wünschte, sie hätte Recht, dachte der Offizier, als die
Fäuste der zierlichen Frau gegen seine Schultern hämmerten. „ Nein, Sie sind
falsch informiert“ schrie Christine Koch die beiden Männer in den grünen
Armeeuniformen an, denen sie und ihr Mann William gerade ihre Tür geöffnet hatten „ das ist das falsche Haus, Sie meinen
einen anderen Soldaten. Mein Sohn kommt wieder nach Hause!“
Wie für viele Menschen
in den USA und anderswo auf der Welt war
der 11.September 2001 für Steven Koch eine einschneidende Zäsur in seinem
Leben. Die Bilder der einstürzenden Doppeltürme und die stundenlange
Ungewissheit, ob sein älterer Bruder Billy, der in New York studierte und in
der Nähe des World Trade Centers arbeitete, das Inferno überlebt hatte, seine
Erzählungen über die Menschen, die vor seinen Augen aus den brennenden
Wolkenkratzern in den Tod sprangen, weckten in dem 16jährigen den Wunsch,
seinem Land zu dienen und in die Armee einzutreten.
Christine Koch versuchte ihren Sohn mit allen Mitteln von
seinem Vorhaben abzubringen, zu groß war ihre Angst, ihn an den Krieg zu
verlieren. Lange war Steven zwischen der Liebe zu seiner Mutter und seinem
Pflichtgefühl hin und her gerissen, doch im März 2006 gab es für ihn kein
Halten mehr. Er schloß sich der 82.Fallschirmjägerdivision an und absolvierte
seine Ausbildung in Fort Benning, Georgia.
Im Januar 2007 verabschiedete sich der junge Ehemann und
frischgebackene Vater von seiner Frau Amy und der gerade geborenen Tochter Zoe
, als seine Einheit nach Afghanistan verlegt wurde.
Steven, Amy und Zoe ( Bildquelle:njrunforthefallen.org) |
Gegenüber Kameraden und Angehörigen ließ Steven nie einen
Zweifel aufkommen, dass er vom Sinn seiner Mission zutiefst überzeugt und
bereit war, den höchsten Preis zu zahlen.
„ In einhundert oder
mehr Jahren wird es ohne jeden Belang
sein, in welchem Haus ich gewohnt, wie viel Geld ich verdient oder welches Auto
ich gefahren habe. Aber die Welt könnte dann eine andere, bessere sein, weil
ich im Krieg gegen den Terror meinen Posten nicht verließ, nachdem ich Freunde
und Kameraden verlor. Wenn ich dafür durch die Hölle gehen muß, gehe ich
einfach weiter. Wenn ich mein Blut über unsere Fahne vergießen muß, damit ihre
Streifen rot bleiben, dann werde ich bluten …“ schrieb Steven Koch in einem
Brief an seine Eltern.
Anfang des Jahres 2008 neigte sich Stevens Dienstzeit in Afghanistan ihrem Ende zu. Er
freute sich darauf , im April seine Frau Amy und die dann 15 Monate alte
Tochter Zoe wiederzusehen, rief mindestens zweimal am Tag zuhause an. Die junge
Familie schmiedete Pläne für die Zukunft, wollte nach Fort Bragg in Kentucky,
Stevens Stationierungsort umziehen. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Am 3. März 2008 zündete ein Selbstmordattentäter seine
Autobombe unmittelbar neben dem Gebäude, in dem die Fallschirmjäger
untergebracht waren. Das zusammenstürzende Mauerwerk begrub die Soldaten unter
sich, tötete Steven und einen weiteren Kameraden, verwundete viele weitere.
Steven Kochs Leichnam wurde in seiner Heimatstadt Milltown,
New Jersey mit einer beeindruckenden militärischen Zeremonie empfangen und auf dem Nationalfriedhof Arlington beigesetzt. Vor der Grundschule, die er besucht
hatte, errichtete man einen Gedenkstein, ein Festsaal im Militärstützpunkt Fort
Dix wurde nach ihm benannt.
Christine, William und ihre
Tochter Lynne erwarten die Ankunft von
Stevens Sarg, 10.03.2008 (Bildquelle:njrunforthefallen.org)
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Lynne Koch, Stevens ältere Schwester, starb einen viel
leiseren, viel einsameren Tod.
Lynne musste in ihrer Kindheit wegen psychischer Probleme
und einer manisch-depressiven Erkrankung therapeutische Hilfe in Anspruch
nehmen. Erst als sie ins Teenageralter kam, fand sie ihre Fröhlichkeit und Lebensfreude wieder, besonders die Liebe zu
ihren kleinen Brüdern Billy und Steven
gab ihr Kraft und Halt. „Ich nannte sie
scherzhaft ihre kleine Mutter. Sie folgte ihnen auf Schritt und Tritt, wollte
sie vor allem beschützen“, erinnerte sich Christine Koch.
Nach ihrem Schulabschluß fand Lynne eine Anstellung in der
Elektrofirma ihres Vaters, doch der Militärdienst ihres Bruders Steven veränderte Lynnes heile Welt von Grund auf. Sein
Tod auf dem Schlachtfeld ließ die Illusion, ihre jüngeren Geschwister vor allen
Widrigkeiten des Lebens bewahren zu können, wie eine Seifenblase zerplatzen.
Zur Einweihung des Gedenksteines vor der Grundschule in
Milltown, die alle drei Geschwister besucht hatten, hielt Lynne Koch eine aufwühlende Rede, in der sie unter anderem sagte:
„…Das Herz ist untröstlich, in Stücke zerrissen, für immer
in Tränen versunken. Wir empfinden diese Tage als ein Geheimnis, das uns
vergeblich durch ein Labyrinth aus Trauer, Verweigerung, Zorn und Verwirrung
irren läßt. Obwohl wir weinen, trauern und hassen gehen wir vorwärts, aber wir
kommen nicht voran. Wir sind dazu unfähig, unser tägliches Leben wurde auf
tragische Weise aus unserem Sein gerissen. Der Aufgang der Sonne, der Beginn so
vieler neuer Dinge, erscheint jetzt wie die verwelkten Blätter, die am Ende des
Sommers von den Blumen fallen. Ich kann die Pracht dieses Sonnenaufgangs nicht
mehr erkennen, er spendet mir keinen Trost. Ich finde keine Hoffnung in einem
neuen Tag. Mein Bruder ist gegangen. …“
Vielleicht erkannte manch einer der Anwesenden den
Hilfeschrei einer gequälten, zutiefst verzweifelten Seele,doch keiner vermochte, das Ausmaß der sich anbahnenden
Tragödie zu erahnen, niemand war in der Lage, sie zu verhindern.
Christine Koch und Lynne vor Stevens Denkmal, Milltown,NJ, 25.10.2008 (Bildquelle.Facebook) |
Unfähig, den Tod ihres geliebten Bruders zu verarbeiten,
verfiel Lynne einer tiefen Depression. In ihren Träumen sah sie Steven irgendwo
in Afghanistan am Leben. Verzweifelt klammerte sie sich an diese Illusion, die
Grenze zwischen Wahn und Realität begann zu verschwimmen.
Als Lynne fast ein Jahr später ihrer Mutter in einer email
gestand, sie habe jetzt realisiert, daß Steven niemals zu ihr zurückkehren
würde, sahen Freunde und Angehörige ein hoffnungsvolles Zeichen. In
Wahrheit hatte die Totenglocke zu läuten
begonnen. Der Lebenswille der jungen Frau war zerbrochen.
Lynne verbrachte Tage weinend, nach ihrem Bruder rufend. Ihr
besorgter Freund, der die Selbstmordgedanken ahnte, brachte sie in eine Klinik,
in der sie aber nur eine Woche blieb.
Am frühen Morgen des 7.Mai 2010 öffneten Christine und
William Koch erneut zwei Männern ihre Tür. Dieses Mal trugen sie die blauen
Uniformen der Polizei.
Christine sah in das aschfahle Gesicht des Polizisten, dann
brach sie weinend auf der Schwelle ihres Hauses zusammen
Lynne schien alles
akribisch geplant zu haben. Sie schrieb ihren Eltern eine email, dass sie sie
über alles liebe. Ihren besorgten Vater, der sie sofort anrief, beruhigte sie,
alles sei in Ordnung. Sie legte
Abschiedsbriefe an ihre Eltern und ihren Bruder Billy neben die Sachen, in denen sie bestattet
werden wollte – ein schwarzes Kleid und ein Diamantkollier – auf ihr Bett .
Dann schluckte sie einen tödlichen Cocktail aus all den Medikamenten, die man
ihr verschrieben hatte, um ihre seelischen Qualen zu lindern .
William Koch begann seine Trauer in Gedichten zu
verarbeiten, die er zunächst auf seiner Facebookseite und dann als Buch
veröffentlichte. Er nannte den kleinen Band „ Kriegsgefallene“, denn für Christine und ihn
ist nicht nur Steven, sondern auch ihre Tochter Lynne ein Opfer dieses Krieges.
„ Egal, was andere denken oder sagen, wäre Steven heil aus Afghanistan
zurückgekehrt dann hätten wir auch Lynne heute noch bei uns“ war sich Christine
sicher. Ihr Mann ergänzte: „ Die Ärzte
erklärten mir, sie starb an einem posttraumatischen Streßsyndrom. Für mich
heißt das: Lynne starb an ihrem gebrochenen Herzen“. Er fügte hinzu: „ Nach Stevens
Tod wandelten wir alle auf dieser Linie, Lynne war die einzige, die sie
überschritt.“
Auf dem Cover von William Kochs Gedichtband sind zwei leere
Stühle in einem leeren Raum zu sehen, doch der Eindruck täuscht. Das Wohnzimmer
im Haus der Kochs in Milltown ist nicht leer, es ist ein Schrein für ihre toten
Kinder.
Bildquelle: amazon.com |
„Vieles davon sind Geschenke, die wir von anderen Menschen
bekamen“, sagte William Koch. Eine Decke mit Portraits von Lynne und Steven,
angefertigt von einem Nachbarn, ist über einen Stuhl drapiert, darüber zwei Bleistiftzeichnungen
beider Geschwister, von denen eine der Künstler Michael Reagan schuf, der diese
Ehre der Familie jedes Gefallenen unentgeltlich erweist. Eine Vitrine enthält
Stevens offizielles Militärporträt, die Flagge seiner Beerdigung, seine
Militärauszeichnungen.
Die Erinnerungen scheinen den Raum zu überfluten, doch
die herzzerreißendsten Bilder hängen
an den Wänden: Die drei kleinen
Koch – Geschwister, die große Schwester Lynne, der kleine Steven, der mittlere
Bruder Billy nebeneinander auf dem Sofa
sitzend , Bilder der Erstkommunion aller drei, schließlich Billy bei seinem
Schulabschluß, flankiert von seinen jetzt toten Geschwistern.
„All unsere Hoffnungen, all unsere Träume, für immer in
diesem Zimmer begraben. Nur sehr, sehr wenige Menschen können überhaupt verstehen,
wie traumatisch das für eine Familie ist.“, so William Koch.
Schulabschluß von Billy Koch,
2000, v.l.n.r William, Steven,Billy, Christine, Lynne (Bildquelle:Facebook)
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Anfangs zog sich William zurück, begann das Leben eines
Einsiedlers zu führen. „ Doch wozu sollte das gut sein? Das Leben muß
weitergehen“, sagte er.
Er entschloß sich, offensiv mit seinem Schicksal umzugehen,
seine Trauer und seine Gedanken nach außen zu tragen. Er nimmt mit seinem
Truck, den er mit Bildern von Steven und Lynne dekoriert hat, an Paraden zum
Nationalfeiertag und Gefallenengedenktag teil, organisiert Geprächsrunden und
liest öffentlich aus seinen mittlerweile zwei Gedichtbänden. Vor allem aber
versucht William Koch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die seelischen
Leiden der Angehörigen gefallener Soldaten zu lenken. „ Die Menschen vergessen,
daß für uns der Krieg nie zu Ende ist, oder sie wollen es gar nicht erst
wissen. Umso wichtiger ist es, daß wir ihnen helfen, zu verstehen.“ sagte er.
Christine und William Koch lassen daß Aussehen ihres
Wohnzimmers unverändert, seit ihre Kinder starben, lediglich ein kleiner,
schmuckloser Weihnachtsbaum kam vier Jahre nach Stevens Tod erstmals hinzu. „
Wir können keine Feiertage mehr begehen, Lichter- und Blumenschmuck nicht mehr
ertragen“, sagte William.
Dafür ließen sie eine alte Tradition, entstanden im zweiten
Weltkrieg und seitdem fast in Vergessenheit geraten, wieder aufleben. Ein
kleiner, goldener Stern im Fenster zeigt den Vorübergehenden, daß hier eine
Familie wohnt, die Angehörige im Krieg verloren hat.
Christine Koch an Stevens
Grab, Juli 2010 (Bildquelle:nyrunforthefallen.org)
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Für Christine und William gibt es nur noch das Leben, so wie
es jetzt ist.
Kein Weihnachten, kein Thanksgiving, kein Plüschtier für die
Tochter zum Valentinstag, keinen Blumenstrauß von einem jungen Soldaten zum
Muttertag und zwei Gräber. Aber auch die Freude über das Glück ihres letzten
lebenden Sohnes Billy, der im November 2013 Laarni, die Liebe seines Lebens
heiratete.
Steven Robert Koch (1984-2008) Lynne Clarissa Koch (
1981-2010)
EHRE IHREM ANDENKEN - SIE SIND UNVERGESSEN
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