Einheit: 9. Regiment,
US Marine Corps Einheit: 2. Regiment, US Marine Corps
Alter: 19 Alter:
21
aus : Sag Harbor, New York, USA aus: Burkeville, Virginia, USA
Gefallen:
22.04.2008, Ramadi, Provinz Anbar, Irak
Operation Iraqi Freedom
Bildquelle: jordanhearter.com
Bildquelle. timesdispatch.com
“” "Ich weiß, daß das keine gewöhnlichen
Menschen waren. Kein normaler Mensch wäre dort stehengeblieben und hätte getan,
was diese beiden Marines taten.“
Zitternd, von seinen Gefühlen überwältigt stand der
irakische Polizeioffizier vor Generalleutnant James Kelly, dem Vizekommandeur
der Expeditionsstreitkräfte im Irak. „ Im Namen Gottes, Sir, diese beiden
Männer retteten uns alle. Nein, Sir“ bekräftigte der Mann mit Nachdruck „ das
waren keine gewöhnlichen Menschen.“
Keine gewöhnlichen Menschen? Als Rebecca Yale das letzte
Telefonat mit ihrem Sohn Jonathan führte, spürte sie, das dieses Mal etwas anders
war. Niemals seit dem Beginn seines Einsatzes im Irak hatte
der junge Marinesoldat gegenüber seinen Angehörigen etwas anderes als
Optimismus verspüren lassen, doch jetzt sprach er zum ersten Mal von der
natürlichsten Regung eines Menschen im Angesicht der Gefahr: „ Mama, ich habe
Angst. Sie schicken uns wieder nach Ramadi.“ „Irgendwann während des Gesprächs bat er mich, seiner Schwester Tammy und den
Großeltern auszurichten, wie sehr er sie liebe. Ich glaube, dass wir beide in
diesem Moment in unserem Innersten ahnten, was die Stunde geschlagen hatte.“
sagte Rebecca der „Richmond Times.“
Im Frühjahr 2008 war Ramadi in der Provinz Anbar, dem
sunnitischen Dreieck südlich von Bagdad einer der tödlichsten Orte auf unserem
Planeten. „Die Stadt, die al Qaida gehört“ beherrschte die täglichen
Nachrichten mit Scharmützeln und blutigen Anschlägen. Inmitten dieses Alptraums
aus Terrorismus, Gesetzlosigkeit und religiösem Fanatismus versuchten 100
irakische Polizisten verzweifelt aber vergeblich die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, so daß 50 Soldaten des
9.US Marineinfanterieregimentes zu ihrer Unterstützung entsandt wurden.
Am Morgen des 22.April 2008 begegneten sich der 21jährige
Jonathan Yale und sein 19jähriger Kamerad Jordan Hearter zum ersten Mal. Sie
kannten sich erst wenige Minuten, hatten wenig mehr als einige Worte
miteinander wechseln können. Die verwackelte, sechs Sekunden lange Aufnahme
einer Überwachungskamera dokumentiert, was dann geschah. Im Angesicht des sicheren Todes besiegten sie
die Angst, von der Jonathan gegenüber seiner Mutter gesprochen hatte und trafen
eine einsame, endgültige Entscheidung.
Das Video zeigt die letzten sechs Sekunden im Leben von Jordan Hearter
und Jonathan Yale.
Die beiden jungen
Soldaten hatten gerade den Dienst zusammen mit zwei Angehörigen der irakischen
Polizei aufgenommen, mit denen sie die Einfahrt zu der Polizeikaserne, in der
die Polizisten und Marinesoldaten untergebracht waren, sichern sollten, als das
jähe Aufheulen eines schweren Motors ihnen die nahende Gefahr signalisierte Ein blauer Mercedes-LKW hielt mit hoher
Geschwindigkeit auf das Tor zu, unter der Plane auf der Ladefläche 1000 kg
hochexplosiven Plastiksprengstoffs, am Steuer ein Selbstmordattentäter.
Die irakischen Polizisten am Eingangstor feuerten einige
Schüsse aus ihren AK47-Gewehren ab, dann folgten sie ihrem natürlichen Instinkt
und flüchteten nach hinten, weg von dem stählernen Monstrum und seiner
tödlichen Ladung. Jetzt waren Jordan Hearter, Jonathan Yale und ihre Waffen das
einzige, das zwischen 150 Männern und dem sicheren Tod stand.
Niemand wird je erfahren, was zwischen ihnen in jenen
Sekunden gesprochen wurde oder ob sie überhaupt die Möglichkeit dazu hatten,
aber die Videoaufzeichung spricht eine eindeutige Sprache. Jordan Hearter und
Jonathan Yale hätten die Möglichkeit gehabt, zu flüchten, als der LKW das Tor
durchbrach, doch sie entschieden anders. Sie traten nach vorn und brachten ihre
Waffen in Anschlag. Von diesem Moment an hatten sie noch sechs Sekunden zu
leben.
Jordan Haerter nahm mit seinem M4-Karabiner den Mann hinter
dem Steuer ins Visier, während sein Kamerad Yale mit dem M249-Maschinengewehr
auf Reifen und Motor zielte. Beide
begannen konzentriert zu feuern.
Sie hatten noch vier Sekunden zu leben.
Der LKW hielt weiter unbeirrt auf die Kaserne zu. Spätestens
zu diesem Zeitpunkt mußte Hearter und Yale klar sein, daß sie die Explosion
nicht überleben würden, selbst wenn sie den LKW noch stoppen konnten.
Sie feuerten weiter.
Sie hatten noch zwei Sekunden zu leben.
Die Frontscheibe des LKW zersplitterte, der Fahrer sackte
hinter dem Steuer zusammen.
Der LKW stoppte.
Sie hatten noch eine Sekunde zu leben.
Der LKW explodierte.
Die Aufzeichnung der Kamera brach ab.
Zwei junge Soldaten waren für immer vereint.
Bildquelle: Facebook
Die Explosion zerstörte die Polizeikaserne fast vollständig.
Viele der Polizisten und Marinesoldaten wurden verwundet, manche von ihnen
schwer, aber keiner kam ums Leben. Die meisten hatten von dem Vorfall nichts
bemerkt, bis die Detonation Mauern und Dach zum Einsturz brachte. Niemand hätte
einen direkten Einschlag der gewaltigen Autobombe in das Gebäude überleben
können, wäre er nicht durch die beiden einzigen Gefallenen dieses Tages
verhindert worden - Jordan Hearter und
Jonathan Yale.
Diese Männer verdanken dem selbstlosen Einsatz von Jordan Hearter und Jonathan Yale ihr Leben
( Bildquelle: jordanhearter.com)
Jordan Hearter wuchs in Sag Harbor im Bundestaat New York
auf. Schon als kleiner Junge zeigte er großes Interesse für alles, was mit dem
Militär zusammenhing. Er ging in die Bibliothek und las historische Bücher, um
mit einer absolut originalgetreuen Uniform aus dem amerikanischen
Unabhängigkeitskrieg an der Parade zu Halloween teilnehmen zu können.
Unmittelbar nach seinem Highschoolabschluß trat er dem US Marine Corps bei,
qualifizierte sich schnell als hervorragender Schütze, begann im März 2008
seinen ersten Einsatz im Irak und schmiedete gleichzeitig Pläne, danach seine
langjährige Freundin Nicole zu heiraten.
Jonathan Yale lebte mit seiner Mutter und seiner Schwester
Tammy in Burkeville, einer kleinen Stadt in der Nähe von Richmond, Virginia. Freunde
und Angehörige beschrieben ihn als fröhlichen, kontaktfeudigen Jungen, der
immer für einen Spaß zu haben war, bereit, anderen Menschen zu helfen. „ Er war
der beste Kumpel, den ich auf der ganzen
Welt hatte“ sagte Tammy unter Tränen dem Reporter der „Richmond Times“, „ ich
vermisse ihn an jedem einzelnen Tag.“
Präsident Barack Obama verlieh Jordan Hearter und Jonathan
Yale posthum das „Navy Cross“, die zweithöchste Tapferkeitsauszeichnung der
Vereinigten Staaten. Bei einer Feierstunde auf ihrem Heimatstützpunkt Camp
Lejeune, North Carolina, würdigte er sie unter anderem mit diesen Worten:
„ Diese jungen Männer meldeten sich zum Dienst in einer Zeit
des Krieges, wohl wissend, dass sie den größten Gefahren ins Auge blicken
mussten. Sie lehren uns, daß wir für unsere Freiheit einen hohen Preis zu
zahlen haben. Ihr Opfer sollte eine Herausforderung für jeden einzelnen von uns
sein, sich zu fragen, was er tun kann, um ein besserer Staatsbürger zu werden.“
Zwei Brücken tragen heute die
Namen von Jordan Hearter und Jonathan Yale, in ihren Heimatstädten Sag Harbour
und Burkeville.
Die Jahre seit dem Verlust ihres
Sohnes brachten Rebecca Yale viele Tiefen und nur wenige Höhen, in ihrem
Inneren hat sie noch immer nicht damit abgeschlossen.
„Irgendwie warte ich immer noch darauf, dass
er nach Hause kommt .Ein Teil von mir schaut noch auf diese Tür, als würde er
gleich hindurchkommen.“
Jon´s Name auf dem Schild an der
Brücke gibt Rebecca die Hoffnung, dass sein Andenken gewahrt bleibt.
„ Solange Menschen über diese
Brücke gehen, werden sie es sehen und alle werden sich an ihn erinnern.“
Kriege beginnen, wann immer du es willst, aber sie enden
nicht, wenn du darum bittest.
Machiavelli
Name: Steven Robert KochName: Lynne Clarissa Koch
Rang: Corporal ( Stabsgefreiter, posthum)Schwester von Steven R. Koch
Einheit: 508. Fallschirmjägerregiment, US - Army
Alter: 23 Alter: 29 aus: Milltown, New Jersey, USA
Gefallen: 3.März 2008, Bezirk Sabari, AfghanistanGestorben: 6.Mai 2010, East Brunswick, New Jersey, USA
Operation Enduring Freedom
Bildquelle: findagrave.com
Ich wünschte, sie hätte Recht, dachte der Offizier, als die
Fäuste der zierlichen Frau gegen seine Schultern hämmerten. „ Nein, Sie sind
falsch informiert“ schrie Christine Koch die beiden Männer in den grünen
Armeeuniformen an, denen sie und ihr Mann William gerade ihre Tür geöffnet hatten „ das ist das falsche Haus, Sie meinen
einen anderen Soldaten. Mein Sohn kommt wieder nach Hause!“
Wie für viele Menschen
in den USA und anderswo auf der Weltwar
der 11.September 2001 für Steven Koch eine einschneidende Zäsur in seinem
Leben. Die Bilder der einstürzenden Doppeltürme und die stundenlange
Ungewissheit, ob sein älterer Bruder Billy, der in New York studierte und in
der Nähe des World Trade Centers arbeitete, das Inferno überlebt hatte, seine
Erzählungen über die Menschen, die vor seinen Augen aus den brennenden
Wolkenkratzern in den Tod sprangen, weckten in dem 16jährigen den Wunsch,
seinem Land zu dienen und in die Armee einzutreten.
Christine Koch versuchte ihren Sohn mit allen Mitteln von
seinem Vorhaben abzubringen, zu groß war ihre Angst, ihn an den Krieg zu
verlieren. Lange war Steven zwischen der Liebe zu seiner Mutter und seinem
Pflichtgefühl hin und her gerissen, doch im März 2006 gab es für ihn kein
Halten mehr. Er schloß sich der 82.Fallschirmjägerdivision an und absolvierte
seine Ausbildung in Fort Benning, Georgia.
Im Januar 2007 verabschiedete sich der junge Ehemann und
frischgebackene Vater von seiner Frau Amy und der gerade geborenen Tochter Zoe
, als seine Einheit nach Afghanistan verlegt wurde.
Steven, Amy und Zoe ( Bildquelle:njrunforthefallen.org)
Gegenüber Kameraden und Angehörigen ließ Steven nie einen
Zweifel aufkommen, dass er vom Sinn seiner Mission zutiefst überzeugt und
bereit war, den höchsten Preis zu zahlen.
„ In einhundert oder
mehr Jahren wird es ohne jeden Belang
sein, in welchem Haus ich gewohnt, wie viel Geld ich verdient oder welches Auto
ich gefahren habe. Aber die Welt könnte dann eine andere, bessere sein, weil
ich im Krieg gegen den Terror meinen Posten nicht verließ, nachdem ich Freunde
und Kameraden verlor. Wenn ich dafür durch die Hölle gehen muß, gehe ich
einfach weiter. Wenn ich mein Blut über unsere Fahne vergießen muß, damit ihre
Streifen rot bleiben, dann werde ich bluten …“ schrieb Steven Koch in einem
Brief an seine Eltern.
Anfang des Jahres 2008 neigte sich StevensDienstzeit in Afghanistan ihrem Ende zu. Er
freute sich darauf , im April seine Frau Amy und die dann 15 Monate alte
Tochter Zoe wiederzusehen, rief mindestens zweimal am Tag zuhause an. Die junge
Familie schmiedete Pläne für die Zukunft, wollte nach Fort Bragg in Kentucky,
Stevens Stationierungsort umziehen. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Am 3. März 2008 zündete ein Selbstmordattentäter seine
Autobombe unmittelbar neben dem Gebäude, in dem die Fallschirmjäger
untergebracht waren. Das zusammenstürzende Mauerwerk begrub die Soldaten unter
sich, tötete Steven und einen weiteren Kameraden, verwundete viele weitere.
Steven Kochs Leichnam wurde in seiner Heimatstadt Milltown,
New Jersey mit einer beeindruckenden militärischen Zeremonie empfangen und auf dem Nationalfriedhof Arlington beigesetzt. Vor der Grundschule, die er besucht
hatte, errichtete man einen Gedenkstein, ein Festsaal im Militärstützpunkt Fort
Dix wurde nachihm benannt.
Christine, William und ihre
Tochter Lynne erwarten die Ankunft von
Stevens Sarg, 10.03.2008 (Bildquelle:njrunforthefallen.org)
Lynne Koch, Stevens ältere Schwester, starb einen viel
leiseren, viel einsameren Tod.
Lynne musste in ihrer Kindheit wegen psychischer Probleme
und einer manisch-depressiven Erkrankung therapeutische Hilfe in Anspruch
nehmen. Erst als sie ins Teenageralter kam, fand sie ihre Fröhlichkeit undLebensfreude wieder, besonders die Liebe zu
ihren kleinenBrüdern Billy und Steven
gab ihr Kraft und Halt. „Ich nannte sie
scherzhaft ihre kleine Mutter. Sie folgte ihnen auf Schritt und Tritt, wollte
sie vor allem beschützen“, erinnerte sich Christine Koch.
Nach ihrem Schulabschluß fand Lynne eine Anstellung in der
Elektrofirma ihres Vaters, doch der Militärdienst ihres Bruders Steven veränderte Lynnes heile Welt von Grund auf. Sein
Tod auf dem Schlachtfeld ließ die Illusion, ihre jüngeren Geschwister vor allen
Widrigkeiten des Lebens bewahren zu können, wie eine Seifenblase zerplatzen.
Zur Einweihung des Gedenksteines vor der Grundschule in
Milltown, die alle drei Geschwister besucht hatten, hielt Lynne Koch eine aufwühlende Rede, in der sie unter anderem sagte:
„…Das Herz ist untröstlich, in Stücke zerrissen, für immer
in Tränen versunken. Wir empfinden diese Tage als ein Geheimnis, das uns
vergeblich durch ein Labyrinth aus Trauer, Verweigerung, Zorn und Verwirrung
irren läßt. Obwohl wir weinen, trauern und hassen gehen wir vorwärts, aber wir
kommen nicht voran. Wir sind dazu unfähig, unser tägliches Leben wurde auf
tragische Weise aus unserem Sein gerissen. Der Aufgang der Sonne, der Beginn so
vieler neuer Dinge, erscheint jetzt wie die verwelkten Blätter, die am Ende des
Sommers von den Blumen fallen. Ich kann die Pracht dieses Sonnenaufgangs nicht
mehr erkennen, er spendet mir keinen Trost. Ich finde keine Hoffnung in einem
neuen Tag. Mein Bruder ist gegangen. …“
Vielleicht erkannte manch einer der Anwesenden den
Hilfeschrei einer gequälten, zutiefst verzweifelten Seele,doch keiner vermochte, das Ausmaß der sich anbahnenden
Tragödie zu erahnen, niemand war in der Lage, sie zu verhindern.
Christine Koch und Lynne vor Stevens Denkmal, Milltown,NJ, 25.10.2008 (Bildquelle.Facebook)
Unfähig, den Tod ihres geliebten Bruders zu verarbeiten,
verfiel Lynne einer tiefen Depression. In ihren Träumen sah sie Steven irgendwo
in Afghanistan am Leben. Verzweifelt klammerte sie sich an diese Illusion, die
Grenze zwischen Wahn und Realität begann zu verschwimmen.
Als Lynne fast ein Jahr später ihrer Mutter in einer email
gestand, sie habe jetzt realisiert, daß Steven niemals zu ihr zurückkehren
würde, sahen Freunde und Angehörige ein hoffnungsvolles Zeichen. In
Wahrheithatte die Totenglocke zu läuten
begonnen. Der Lebenswille der jungen Frau war zerbrochen.
Lynne verbrachte Tage weinend, nach ihrem Bruder rufend. Ihr
besorgter Freund, der die Selbstmordgedanken ahnte, brachte sie in eine Klinik,
in der sie aber nur eine Woche blieb.
Am frühen Morgen des 7.Mai 2010 öffneten Christine und
William Koch erneut zwei Männern ihre Tür. Dieses Mal trugen sie die blauen
Uniformen der Polizei.
Christine sah in das aschfahle Gesicht des Polizisten, dann
brach sie weinend auf der Schwelle ihres Hauses zusammen
Lynne schien alles
akribisch geplant zu haben. Sie schrieb ihren Eltern eine email, dass sie sie
über alles liebe. Ihren besorgten Vater, der sie sofort anrief, beruhigte sie,
alles sei in Ordnung.Sie legte
Abschiedsbriefe an ihre Eltern und ihren Bruder Billy neben die Sachen, in denen sie bestattet
werden wollte – ein schwarzes Kleid und ein Diamantkollier – auf ihr Bett .
Dann schluckte sie einen tödlichen Cocktail aus all den Medikamenten, die man
ihr verschrieben hatte, um ihre seelischen Qualen zu lindern .
William Koch begann seine Trauer in Gedichten zu
verarbeiten, die er zunächst auf seiner Facebookseite und dann als Buch
veröffentlichte. Er nannte den kleinen Band „ Kriegsgefallene“, denn für Christine und ihn
ist nicht nur Steven, sondern auch ihre Tochter Lynne ein Opfer dieses Krieges.
„ Egal, was andere denken oder sagen, wäre Steven heil aus Afghanistan
zurückgekehrt dann hätten wir auch Lynne heute noch bei uns“ war sich Christine
sicher. Ihr Mann ergänzte:„ Die Ärzte
erklärten mir, sie starb an einem posttraumatischen Streßsyndrom. Für mich
heißt das: Lynne starb an ihrem gebrochenen Herzen“. Er fügte hinzu: „ Nach Stevens
Tod wandelten wir alle auf dieser Linie, Lynne war die einzige, die sie
überschritt.“
Auf dem Cover von William Kochs Gedichtband sind zwei leere
Stühle in einem leeren Raum zu sehen, doch der Eindruck täuscht. Das Wohnzimmer
im Haus der Kochs in Milltown ist nicht leer, es ist ein Schrein für ihre toten
Kinder.
Bildquelle: amazon.com
„Vieles davon sind Geschenke, die wir von anderen Menschen
bekamen“, sagte William Koch. Eine Decke mit Portraits von Lynne und Steven,
angefertigt von einem Nachbarn, ist über einen Stuhl drapiert, darüber zwei Bleistiftzeichnungen
beider Geschwister, von denen eine der Künstler Michael Reagan schuf, der diese
Ehre der Familie jedes Gefallenen unentgeltlich erweist. Eine Vitrine enthält
Stevens offizielles Militärporträt, die Flagge seiner Beerdigung, seine
Militärauszeichnungen.
Die Erinnerungen scheinen den Raum zu überfluten, doch
dieherzzerreißendsten Bilder hängenan den Wänden: Die drei kleinen
Koch – Geschwister, die große Schwester Lynne, der kleine Steven, der mittlere
Bruder Billy nebeneinander auf dem Sofa
sitzend , Bilder der Erstkommunion aller drei, schließlich Billy bei seinem
Schulabschluß, flankiert von seinen jetzt toten Geschwistern.
„All unsere Hoffnungen, all unsere Träume, für immer in
diesem Zimmer begraben. Nur sehr, sehr wenige Menschen können überhaupt verstehen,
wie traumatisch das für eine Familie ist.“, so William Koch.
Schulabschluß von Billy Koch,
2000, v.l.n.r William, Steven,Billy, Christine, Lynne (Bildquelle:Facebook)
Anfangs zog sich William zurück, begann das Leben eines
Einsiedlers zu führen. „ Doch wozu sollte das gut sein? Das Leben muß
weitergehen“, sagte er.
Er entschloß sich, offensiv mit seinem Schicksal umzugehen,
seine Trauer und seine Gedanken nach außen zu tragen. Er nimmt mit seinem
Truck, den er mit Bildern von Steven und Lynne dekoriert hat, an Paraden zum
Nationalfeiertag und Gefallenengedenktag teil, organisiert Geprächsrunden und
liest öffentlich aus seinen mittlerweile zwei Gedichtbänden. Vor allem aber
versucht William Koch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die seelischen
Leiden der Angehörigen gefallener Soldaten zu lenken. „ Die Menschen vergessen,
daß für uns der Krieg nie zu Ende ist, oder sie wollen es gar nicht erst
wissen. Umso wichtiger ist es, daß wir ihnen helfen, zu verstehen.“ sagte er.
Christine und William Koch lassen daß Aussehen ihres
Wohnzimmers unverändert, seit ihre Kinder starben, lediglich ein kleiner,
schmuckloser Weihnachtsbaum kam vier Jahre nach Stevens Tod erstmals hinzu. „
Wir können keine Feiertage mehr begehen, Lichter- und Blumenschmuck nicht mehr
ertragen“, sagte William.
Dafür ließen sie eine alte Tradition, entstanden im zweiten
Weltkrieg und seitdem fast in Vergessenheit geraten, wieder aufleben. Ein
kleiner, goldener Stern im Fenster zeigt den Vorübergehenden, daß hier eine
Familie wohnt, die Angehörige im Krieg verloren hat.
Christine Koch an Stevens
Grab, Juli 2010 (Bildquelle:nyrunforthefallen.org)
Für Christine und William gibt es nur noch das Leben, so wie
es jetzt ist.
Kein Weihnachten, kein Thanksgiving, kein Plüschtier für die
Tochter zum Valentinstag, keinen Blumenstrauß von einem jungen Soldaten zum
Muttertag und zwei Gräber. Aber auch die Freude über das Glück ihres letzten
lebenden Sohnes Billy, der im November 2013 Laarni, die Liebe seines Lebens
heiratete.
Steven Robert Koch (1984-2008)Lynne Clarissa Koch (
1981-2010)
In einer sechs Jahre alten Ausgabe dieses englischsprachigen
Magazins, die durch einen Zufall in meine Hände fiel, fand ich, was mich zur
Arbeit an diesem Blog inspirierte: die bewegende Geschichte der
achtzehnjährigen Sam die nach ihrem Schulabschlußin die Armee eintrat, um ihren Traum, FBI –
Agentin zu werden, verwirklichen zu können und nur wenige Monate später im Irak
fiel.
Auf der Suche nach zusätzlichen Informationen im Internet
erkannte ich, dass faktisch keine deutschsprachigen Quellen zu diesem Thema
existieren . Schnell zogen mich die Schicksale der gefallenen Soldaten und
ihrer Angehörigen emotional in ihren Bann.
Genauso wie ich von dem Mut, der Opferbereitschaft und dem
Idealismus dieser jungen Menschen fasziniert war, begann ich über viele Dinge nachzudenken.
Über unseren kaltblütigen Egoismus, die Annehmlichkeiten
eines Lebens in Freiheit und Selbstbestimmung zu genießen aber den Kampf und
den Blutzoll anderen zu überlassen.
Über die ignorante Gleichsetzung von Tätern und Opfern durch
selbsternannte Moralprediger und falsche Friedensfreunde.
Über unsere Politiker, die ihre erste Pflicht schon lange
vergessen haben, uns, denen sie ihre Macht, ihre Mandate, ihre Wählerstimmen
verdanken, die Wahrheit zu sagen.
So fasste ich den Entschluß, diesen Blog ins Netz zu
stellen. Er ist den Gefallenen des Krieges gegen den Terror, der Operationen
„Enduring Freedom“, „Iraqi Freedom“ und „ New Dawn“ gewidmet.
Dieser Krieg unterscheidet sich in fundamentaler Weise von
allen vorherigen in der Geschichte der Menschheit. Er wird weder um Länder und
Rohstoffe noch um die Macht von Staaten oder Militärbündnissen geführt, es ist
kein amerikanischer oder europäischer Kriegsondern ein Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei. Ginge er
verloren, wäre die Welt, wie wir sie kennen, für immer zerstört.
Dieser Blog will keine Politik betreiben, sondern zeigen,
was in diesem Kampfunwiederbringlich
verloren ging. Er soll den jungen Frauen und Männern, die ihre Heimat und ihre
Familien verließen um tausende Kilometer entfernt unsere Freiheit, unsere Art
zu leben zu verteidigen und dabei den höchsten Tribut entrichtet haben, ein
Denkmal setzen.
Es ist unsere Pflicht, ihr Andenken zu bewahren und zu
ehren, weil es notwendig ist, den Menschen ins Gedächtnis zu rufen, dass unsere
Freiheit einen Preis hat. Sie wurde erkämpft und muß unter Opfern verteidigt
werden. Das ist die Wahrheit, der wir uns stellen müssen.
Ich will den Gefallenen einen Namen und ein Gesicht geben,
den Hinterbliebenen versichern:
Als du geboren wurdest, hörte die Welt deinen Schrei. Lebe
dein Leben so, daß du die Welt schreien hörst, wenn du sie verläßt.
Sprichwort der nordamerikanischen Indianer
Name:Sam
Williams Huff
Rang:Private
First Class ( Obergefreite)
Einheit:504.Militärpolizeibataillon, US - Army
Alter:18 aus: Tucson, Arizona, USA
Gefallen:17.April
2005, Bagdad, Irak Operation Iraqi Freedom
Bildquelle: Facebook
„Was zur Hölle redest du da, Mädchen?! Das ergibt keinen
Sinn für mich! Du wirst ihnen das alles schön selbst sagen!“
Der Sergeant bekam keine Antwort mehr. Ein großes, ein gutes
Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Sam James ist eine beeindruckende Persönlichkeit,
hochgewachsen, intelligent, seine Worte mit Bedacht wählend. Der Familienvater
und Gruppenführer im 504. Militärpolizeibatallion der US Army verkörpert das,
was man gemeinhin einen gestandenen Mann nennt. Er absolvierte Einsätze im Irak
und im Kosovo, war in Kämpfe verwickelt, wurde mit menschlichem Leid,
Verletzungen und Tod konfrontiert.Nichts, so glaubt man, kann den erfahrenen Soldaten aus seiner
professionellen, in vielen kritischen Situationen gestählten Ruhe reißen.
Als Sergeant James der Autorin Leslie Garrison über die
letzten Worte im Leben von Sam Huff berichtete, war es mit seiner
Selbstbeherrschung vorbei. Jetzt hatte Sam James den Kampf gegen die Tränen
verloren.
„Bitte sagen Sie Mama, dass ich sie liebe, und Papa wünsche
ich viel Glück für sein Album“ flüsterte die 18jährige ihrem Vorgesetzten und
väterlichen Freund zu, bevor sie die Augen für immer schloß.
Etwas mehr als eine Stunde zuvor war unmittelbar neben dem
Fahrzeug, das die junge Soldatin aus Tucson in Arizona durch die nächtlichen
Straßen Bagdads steuerte, ein ferngezündeter Sprengsatz explodiert. Drei 155 mm
Artileriegranaten chinesischer Bauart schleuderten messerscharfe, glühendheiße
Splitter, die Boden, Kotflügel und Fahrertür durchschlugen und ihre beiden
Beine oberhalb der Knie zerfetzten. Verzweifelt kämpften Kameraden und
Sanitäter um ihr Leben, doch in dieser chaotischen Nacht hatten sie keine
Chance. Die Funkverbindung brach zusammen, so daß niemand in der Lage war,
einen Rettungshubschrauber zu rufen. Das Lazarett, in das man Sam schließlich
in einem der unzerstörten Fahrzeuge brachte, befand sich viel zu weit entfernt,
die Soldaten kannten die Gegend nicht und verfuhren sich. Erschüttert und
hilflos musste Sergeant James mit ansehen, wie das zierliche Mädchen, das er
zärtlich-liebevoll „ die kleine Schwester unseres Zuges“ nannte, langsam in
seinen Armen verblutete.
Obwohl das 504. Bataillon bereits zuvor Verluste im Gefecht
erlitten hatte, war der Tod der bei Vorgesetzten wie Kameraden beliebten und
geachteten jungen Frau ein Schock für die Einheit. „ Zum ersten Mal in meiner
langen Dienstzeit beim Militär sah ich einen Oberstleutnant weinen.“ beschrieb
ein Angehöriger des Bataillonsstabes den Moment, als die Todesnachricht aus dem
Lazarett eintraf auf der Videoplattform Youtube. “Durch sie wurde ich zu einem
besseren Vorgesetzten, Soldaten und Menschen. Ich werde über das, was in dieser
Nacht geschah, niemals hinwegkommen“ gestand Sergeant James.
Neue Rekruten, die ins 504. Bataillon kamen, wurden von
Stabsfeldwebel Stearns mit einem weißen Blatt Papier empfangen, über dem stand:
„ Darum ist Sam Huff meine Heldin“. Er ließ sie einen Halbkreis bilden, er
erzählte – und sie mussten schreiben …
Wer war dieses Mädchen, dessen kurzes Leben so viele
Menschen bewegte und über das ihre Freundin und Kameradin Terri Euri sagte:
„ Sie war dein Fels in der Brandung, sie ging für dich
durchs Feuer. Wenn du einen Freund brauchtest, du fandest ihn in ihr.“
2007 beschrieb die Journalistin und Autorin Leslie Ann
Garrison aus Seattle in ihrerBiographie
„American Daughter – The Sam Huff Story“ den berührenden und tragischen
Lebensweg einer jungen Frau, deren unbeirrbarer Wille, Scheitern unter keinen
Umständen zu akzeptieren in jener schicksalhaften Aprilnacht an seine letzte
Grenze stieß.
Mehr als 1500 Menschen besuchten die „ memorial services“–
öffentliche Veranstaltungen, bei denen die Erinerungen an einen Verstorbenen
geteilt werden- für Sam an verschiedenen Orten, der Basis
ihrer Einheit in Bagdad, in ihrer Heimatstadt Tucson und an ihrer Schule, der „
Mountain View Highschool“ in Oro Valley. Allen, die dabei das Wort ergriffen,
war eine Erinnerung gemeinsam – die tiefe, innige Liebe, die Samihren Eltern entgegenbrachte. Shaw Duvall,Bordschütze auf dem Fahrzeug von Sam und
Sergeant James, heute Sheriff in seiner Heimatstadt Tampa, erinnerte sich:
„ Sie kam irgendwann mit ihrem Fotoalbum zu mir, das voller
Bilder ihrer Eltern war, und fing zu erzählen an. Jeder Soldat in unserer
Einheit kannte dieses Album. Obwohl keiner von uns ihnen je begegnet war,
wußten wir alles von Sams Eltern."
Glenn Johnson, ein Freund der Familie, schrieb: „ Ich
erlebte niemals zuvor eine stärkere, engere Bindung zwischen Eltern und ihrem
Kind. Es wundert mich in keiner Weise, daß Sams letzte Worte, nachdem sie
tödlich verwundet wurde, an ihre Eltern gerichtet waren. Bob und Maggie hörten
niemals auf, Sam die ungeschminkte Wahrheit über alles und jedes zu erzählen
und ich denke, das war der Hauptgrund, daß sie so schnell zu einem solch
starken, ausgeglichenen Charakter einer erwachsenen jungen Dame heranwuchs.“
Sam Huff mit ihren Eltern Bob
Huff und Margaret Joyce „Maggie“ Williams (Bildquelle:Facebook)
Sams Mutter, Maggie Williams, die während des Vietnamkrieges
als Fluglotse im Marine Corps diente und danach, wie Vater Bob Huff, bei der
Polizei von Tucson, blickte zurück:
„ Wir erzählten ihr stets die Wahrheit und sie glaubte uns.
Sie war ein außergewöhnlicher Teenager in dieser Hinsicht, weil sie immer
bereit war, uns zuzuhören. Sie wußte, daß ihr Vater und ich durch unseren Job
lebenserfahren waren, und wenn wir ihr erzählten, was mit Leuten passiert, die
Drogen nehmen oder Sex haben, ohne alt und erfahren genug zu sein, dann glaubte
sie uns. Sie war ein großartiges Kind in dieser Beziehung.“
Ein Thema gab es allerdings, über das niemand mit Sam
sprechen konnte: die Bitte, in Kriegszeiten nicht in die Armee einzutreten. Es
war ihr Traum seit Jahren, als Militärpolizist zu dienen und Sam Huff war fest
entschlossen, diesen Traum wahr werden zu lassen.
„ Wir gerieten einmal
in einen heftigen Streit, in meiner Küche, als ich sie bat, sich die Sache doch
wenigstens noch einmal zu überlegen.“ berichtete ihre Schulfreundin Lauren
Robbenault. „ Sam riß die Tür auf und fuhr mich an: Wenn du nicht bereit bist,
mich zu unterstützen, dann geh. Ich blieb, denn ich wollte unsere Freundschaft
nicht aufs Spiel setzen. Nach dem sie gefallen war, hörte ich viele Leute
sagen, daß irgendjemand es hätte verhindern, sie stoppen müssen. Das ist
Unsinn. Niemand konnte Sam aufhalten, wenn sie sich ein Ziel gesetzt hatte.“
Mutter Maggie fügte hinzu: „ Sie hatte schon als Kind diese Anpackermentalität:
Sag mir, daß ich etwas nicht kann und ich werde es dir beweisen.“
Sams Willenskraft, ihre Führungsstärke und die unbedingte
Bereitschaft sich für andere, schwächere Mitglieder der Gemeinschaft
einzusetzen, beeindruckten Ellen Kirkbride, die Musiklehrerin der Mountain View
Highschool und Leiterin der Schulband. Von ihrem ersten Highschooljahr an
spielte die wie ihr Vater Bob musikalisch begabte Sam Flöte in der Marching
Band, auch hier hatte sie von Anfang an ein klares Ziel vor Augen – die
Position des Tambourmajors. Obwohl diese Aufgabe traditionell Schülern älterer Jahrgänge
vorbehalten war, marschierte Sam tatsächlich im Alter von gerade 16 Jahren als
„ Drum Major“ an der Spitze der Mountain View Marching Band. „Es gab musikalisch
talentiertere Bewerber, aber keiner hatte diese positive Ausstrahlung, die
Fähigkeit, andere mitzureißen und vor allem die rührende Art und Weise, mit der
sie sich um die Kleineren und Leistungsschwächeren kümmerte.“, so Ellen
Kirkbride.
Sam Huff als Mitglied der Mountain View Marching Band ( Bildquelle: legacy.com)
Dieses kurze Video bei Youtube zeigt Sam während eines Auftrittes 2003
Ungefähr zur gleichen Zeit überraschte Sam ihre Eltern mit
der Ankündigung, in die Armee eintreten zu wollen, zu einer Zeit, als Amerika
in zwei Kriege mit ungewissem Ausgang verwickelt war, ein beunruhigender
Gedanke für Maggie und Bob. „ Ja, ich kenne die Risiken“ sagte Sam ihrem Vater,
„ aber ich habe einen Plan. Ich möchte, während ich bei der Armee bin, ein
Fernstudium beginnen, meinen Abschluß in Psychologie machen und danach zum FBI
gehen.“
Schweren Herzens entschlossen sich Maggie und Bob ihre wegen
Sams Minderjährigkeit notwendige Zustimmung zu geben, immer in der stillen
Hoffnung, sie könnte ihre Meinung noch ändern. Maggie wollte ihre gutaussehende
Tochter zu einer Modelkarriere überreden, aber die hübsche Sam, der die Herzen
vieler junger Männer an ihrer Schule und darüberhinaus zuflogen, strebte nie
nach der Aufmerksamkeit des anderen Geschlechtes.
„Ich willniemals einen Job haben, der von meinem
Aussehen abhängig ist. Mein Leben soll etwas bewirken“ sagte Sam zu ihrer
Mutter.
Am 4. Juli 2004, unmittelbar nach ihrem Schulabschluß,
verließ Sam ihr Elternhaus, um ihre Grundausbildung in Fort Leonard Wood, Missourianzutreten.
Nur wenige Tage zuvor war bei ihrer Mutter Maggie
Lungenkrebs diagnostiziert worden, die Ärzte gaben ihr sieben Monate bis maximal
zwei Jahre zu leben. Maggie und Bob entschlossen sich, Sam nichts davon zu
erzählen. „Ich wollte nicht, daß sie ihren Lebensplan wegen meinem ändert.“
sagte Maggie.
Waren Sams Vorgesetzte anfangs skeptisch, ob das kleine
schmächtige Mädchen die körperlichen Herausforderungen des Militärdienstes
meistern könne, wichen ihre Zweifel bald dem Staunen über ihre Fähigkeit, die
eigenen Grenzen zu überschreiten. Im März 2013 erinnerte sich der pensionierte
Armeeausbilder John Arnet auf der Facebookseite der 42. Brigade an diese Zeit:
„Sie absolvierte den physischen Teil der Ausbildung mit
Bravour, was ihr keiner von uns zugetraut hatte. Allerdings erlitt sie dabei
eine Streßfraktur im Bein und der Arzt setzte sechs Wochen Rehabilitation bis
zu Dienstfähigkeit voraus. Unser Kompaniechef wollte sie nach Hause schicken,
nach seiner Meinung konnte sie die ausgefallene Ausbildung bis zur
Abschlußprüfung nicht mehr aufholen. Sie kam in mein Büro und beschwor mich,
wir dürften ihren Traum nicht zerstören, sie würde hart arbeiten um alles
nachzuholen. Am Ende stimmte ich meinen Kommandeur um und in der Tat, sie hielt
durch. Als ich von ihrem Tod erfuhr dachte ich, ich hätte besser auf meinen
Vorgesetzten hören sollen. Dann wäre sie heute noch am Leben und bei ihrer Familie.“
Sam Huff nach Abschluß ihrer Ausbildung, Fort Leonard Wood, MO., Herbst 2004 (Bildquelle: Facebook)
Sam Huff wurde der 170. Kompanie im
504.Militärpolizeibataillon, Fort Lewis / Washington zugeteilt. Ihr Gruppenführer, Sergeant Sam James,
erinnerte sich genau an den Moment des ersten Zusammentreffens mit seiner neuen
Untergebenen:
„Sie kam herein, knapp 1,60m groß, keine 50 kg schwer. Ich
konnte geradewegs über ihren Kopf hinwegsehen, als sie mir Meldung erstattete
und ich dachte: O.K., wir ziehen in den Krieg und das gibt man mir als
Soldat.Aber sie war intelligent, diszipliniert und in der Lage, ihre physischen
Defizite durch mentale Stärke auszugleichen. Ihr Ziel bestand stets darin,
besser zu sein als ihre Kameraden. In diesem Körper eines kleinen, scheinbar
zerbrechlichen Mädchens verbarg sich ein Rückgrat aus Stahl.“
Sergeant James begann Sam als seine persönliche Fahrerin zu
trainieren, schon bald wich seine anfängliche Skepsis Bewunderung.
„Nachdem wir im Kuwait angekommen waren, begannen wir mit
noch intensiverer Ausbildungfür unseren
Einsatz.Beim
Selbstverteidigungstraining schlug sie härter zu, als mancher meiner
Unteroffizierskollegen und selbst ich fand mich einige Male mit schmerzenden
Gliedern im Wüstensand wieder, weil sie mich im Schwitzkasten hatte.
Unsere Fahrzeuge waren mit überschweren Maschinengewehren
ausgerüstet, die man laden mußte, in dem man den Verschluß nach hinten zog. Sie
scheiterte zunächst daran, es überstieg ganz einfach ihre körperlichen Kräfte.
Ich nahm sie zur Seite: `Ist das dein Ernst, willst du etwa ein halber Soldat
sein? Es kann da draußen Leben kosten, wenn du diese Waffe nicht laden kannst´
Es dauerte nicht lange, und ich hörte das Geräusch, wie das MG durchgeladen
wurde, wieder und wieder und wieder. Nein, Sam Huff war kein kleines Mädchen,
sie war eine starke Frau.“
Die Zeit, die Sam in Fort Lewis verbrachte, veränderte ihr Leben. Das bildschöne Mädchen, das jungen Männern bis dahin so wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht hatte, verliebte sich in ihren Kameraden Nicholas Neally. Sie trug einen Verlobungsring an ihrem Finger, als sie Anfang 2005 das Transportflugzeug Richtung Kuwait bestieg.
Angekommen im Irak wurden die Militärpolizisten der
170.Kompanie für die gefährlichste aller Aufgaben eingeteilt. Sie fuhren
Begleitschutz für die zahlreichen Fahrzeugkonvois zwischen dem Flughafen Bagdad
und der „Green Zone“, dem riesigen Militär- und Diplomatenviertel im Zentrum,
die pausenlos aus dem Hinterhalt attackiert wurden, in ihren fast ungepanzerten
„Humvee“-Jeeps ein wahres Himmelfahrtskommando. „ Wir fahren mitüber 110 kmh, drängen jedes Fahrzeug, das
unserem Konvoi zu nahe kommt, ab oder rammen es. Um uns herum wird geschossen,
ohne daß wir sehen können, woher es kommt. Wir können absolut nichts tun, nur
fahren und beten, daß es uns nicht trifft.“ schrieb Sam in einer email nach
Hause.
"Beten, daß es uns nicht trifft" Sam am Steuer ihres Humvee, Bagdad, Frühjahr 2005 (Bildquelle: The Rolling Stone Magazin, Nr. 1027 v. 31.05.2007)
Die unaufhörliche nervliche Anspannung, die ständige
Anwesenheit tödlicher Gefahr förderte eine weitere wesentliche Eigenschaft in
Sams Charakter zutage – das absolute Fehlen jeglicher Furcht in
gefährlichenSituationen. „ Wir fuhren
von einem Einsatz zurück zu unserer Basis“, so Sergeant James „ und unmittelbar
vor uns ging eine Autobombe hoch. Eine beliebte Taktik der Terroristen war es,
Fahrzeuge, die an solchen Stellen langsam fuhren oder hielten, aus dem
Hinterhalt anzugreifen. Also befahl ich ihr, aufkeinen Fall auch nur den Fuß vom Gas zu
nehmen. Die Straße war mit Trümmern und Leichenteilen übersät, vor uns lag ein
Torso, ein menschlicher Körper ohne Arme und Beine, dem wir nicht ausweichen
konnten -die einzige Möglichkeit war, darüberhinwegzufahren. Mein Bordschütze
Duvall, ein Soldat mit langer Kampferfahrung, erlitt einen Nervenzusammenbruch,
schrie, er könne das alles nicht mehr aushalten, während meine achtzehnjährige
Fahrerin mit keiner einzigen Wimper zuckte.“
Sam schilderte diesen
Vorfall Bill Holmes, einem Freund der Familie in einer email: „… ob du mir
glaubst oder nicht, ich fuhr über all das drüber und ich hatte keine Gefühle
dabei. Das einzige, woran ich dachte, war, mich, meinen Bordschützen und meinen
Kommandeur am Leben zu erhalten. …“
Eine Begebenheit, die sich in einer irakischen
Polizeistation zutrug, blieb Sergeant James besonders in Erinnerung. „ Wir
sollten die neu aufgebaute irakische Polizei ausbilden, sie fit dafür machen,
irgendwann ohne uns klarzukommen. Als ich nach draußen ging, um eine Zigarette
zu rauchen, hörte ich diese charakteristische, schrille Stimme und glaubte
meinen Augen nicht zu trauen. Da stand dieses kleine Mädchen, die blonden Haare
lugten rechts und links unter dem Helm hervor, mitten auf dem Hof und
scheuchteein halbes Dutzend irakischer
Polizisten in der Gegend herum. Keiner von denen war jünger als 50 und Sam
brüllte sie an, weil sie dies und jenes nicht zu ihrer Zufriedenheit erledigt
hatten. Sie begegnete meinem fassungslosen Blick und sagte: ´Was´n los, Sarge,
warum gucken Sie so? Hatten Sie vielleicht gedacht, daß ich sowas nicht kann??´
Ich fing schallend zu lachen an und rief zu ihr herüber: ´Huff, sie sind
vollkommen verrückt! ´Sie wußte selbstverständlich,
daß irakische Männer keinerlei Respekt vor einer Frau haben, genau deshalb zog
sie das mit aller Konsequenz durch. Sam hatte keinerlei Furcht, niemals, vor
nichts und niemandem.“
„DachtenSie etwa, daß ich das nicht kann?“ Sam Huff
im Kampfanzug, Bagdad, Frühjahr 2005 (Bildquelle: arlingtoncemetery.com)
Beindruckende äußere Erscheinung und charakterliche Stärken,
diese Erinnerung an Sam teilten viele Freunde, Kameraden und Vorgesetzten in
den Interviews mit Leslie Garrison und den Gedenkveranstaltungen nach ihrem
Tod.
Ashley Lathers, Sams Freundin und Zimmergenossin im Irak:
„Sie hatte keine Scheu, ihre Gedanken zu äußern, aber sie
war die erste, die bereit war, eine andere, abweichende Meinung zu akzeptieren.
Sie war eine innere und äußere Schönheit, strahlte eine ungewöhnliche Kraft
aus. Du mußt dein Leben mit voller Intensität leben, deine Ziele mit ganzer
Kraft verfolgen, das war es, was ich von Sam lernte.
Sie liebte zwei Dinge, ihren Verlobten Nick und das Tanzen.
Dieses Mädchen war pausenlos am Tanzen, wann immer sie die Gelegenheit hatte,
ich überraschte sie manchmal,in unserem Zimmer, wie sie quer durch den ganzen
Raum tanzte .Sie tanzte mit einer Anmut, die den meisten Menschen fehlt.
Achtzehn ist ein schrecklich junges Alter, die Welt zu verlassen, aber sie
hatte ein Leben gelebt, von dem viele Menschen nur träumen können. Die Art und
Weise, wie sie gelebt hat, macht sie unsterblich, nicht die Umstände ihres
Todes, das würde ich der Welt über Sam Huff erzählen. Die Menschen sollten sich
in Erinnerung rufen, daß die Person und nicht die Tat einen Helden ausmacht.“
„Wir wurden so enge Freunde, daß wir als Bruder und
Schwester angesehen wurden. So nannte man uns in der Kompanie und das traf es
genau“ sagte Bordschütze Shaw Duvall.
„Sam war die kleine Schwester, die ich immer wollte, aber niemals hatteWir redeten über alles, was in unserem Leben
passierte, halfen uns gegenseitig, wenn der andere Probleme hatte, waren stets
füreinander da. Es war mir eine große und besondere Ehre, sie gekannt zu haben,
Teil ihres Lebens gewesen zu sein“
„Der Mensch, nicht die Tat macht einen Helden“
Obergefreite Ashley Lathers gedenkt ihrer
Freundin Sam Huff, US-Army Basis Camp Falcon, Bagdad, April 2005 (Bildquelle: dvidshub.net)
Eindringliche, berührende Worte fand Sam James, der
erfahrene Berufssoldat, der in Sams letzten Minuten an ihrer Seite war:
„Sie war eine wunderschöne junge Frau, die Art, nach der man
beim Einkaufen den Kopf verdreht, eine fröhliche, lustige Person, die die
schönen und wichtigen Dinge in ihrem Leben liebte – Musik, Tanzen, ihren Verlobten,
ihre Eltern. Sam war ein so glücklicher und zufriedener Mensch, wenn sie ging,
sah es so aus, als würde sie über den Boden schweben.Aber unter dieser äußeren
Hülle einer schönen jungen Dame verbarg sich ein Rückgrat aus Stahl.Ich fragte sie irgendwann, warum sie zur
Armee ging und sie erwiderte, daß sie ihren Teil beitragen wolle. Ihre Mutter
diente im Marine Corps und bei der Polizei, ihr Vater war Sheriff und nun sei
es an ihr, anderen Menschen zu helfen. Mein Team und ich fanden uns auf unseren
Missionen in Bagdad in vielen gefährlichen Situationen wieder, in keiner
einzigen zeigte sie auch nur das geringste Anzeichen von Furcht. Ich vertraute
ihr ohne Bedenken mein Leben an. Menschen wie Sam machen es zu einer Freude,
Anführer in der Armee zu sein...“
Anderen, schwächeren Menschen, die selbst nicht für ihre
Interessen einstehen können, zu helfen, war die stärkste Motivation für Sam
Huff. „ Sie wurde wütend, wenn sie eine Frau in einer Burka sah“ erinnerte sich
ihre Mutter „ am meisten schockiert war sie, als sie in einer irakischen
Polizeistation mit einer Frau sprach, die Medizin studiert hatte, aber
wegenihres Geschlechts nicht als Ärztin
arbeiten durfte.“
„ Ich kenne keinen einzigen Jungen an unserer Schule, der
diese physischen und psychischen Opfer für Menschen, die er niemals gekannt
hat, auf sich genommen hätte. Irgendwann, Sam, erzähle ich meinen Kindern von
meiner Freundin, die zu solch einer Heldin wurde.“ schrieb Schulfreundin Lauren
Robbenault.
„Eine innere und äußere
Schönheit von ungewöhnlicher Kraft“ (Bildquelle: legacy.com)
Sam Huff wurde mit allen Ehren auf dem Nationalfriedhof Arlington bestattet. Ihre Mutter Maggie legte ihre eigene Marineuniform aus dem
Vietnamkrieg als Kissen unter Sams Kopf.
Margaret Joyce „Maggie“ Williams erlag 2009 nach langem
Kampf ihrem Krebsleiden. Zwei Jahre vor ihrem Tod sagte sie dem Magazin
„Rolling Stone“:
„Es kamen Menschen zu mir und sagten, es wäre doch besser,
daß sie tot sei, schließlich hätte sie beide Beine verloren. Wer so etwas sagt,
dem ist noch nie etwas derart Schreckliches wie der Verlust eines Kindes
passiert. Ich weiß, Sam hätte ihr Schicksal angenommen, sie war so stark, daß
sie selbst die Kraft gefunden hätte, mir Trost zu geben.“
Maggie Williams ruht an der Seite ihrer Tochter in
Arlington. Sie gab Sam am Flughafen einen Brief, mit der Bitte, ihn erst nach
der Ankunft zu öffnen. Ihre Worte klingen prophetisch, denn es sollte ein
endgültiger Abschied sein:
„…Wenn du etwas getan hast, dessen du dich schämen mußt,
übernimm die Verantwortung und versuche, es so schnell wie möglich wieder gut
zu machen.Gib und akzeptiere Entschuldigungen anstandslos. Sprich deine Gebete
an jedem Tag. Lerne, dir selbst als erste und dann den anderen zu vergeben. Du
weiß, daß ich immer bei dir bin.Keine Entfernung, keine Zeit vermag unsere
Herzen zu trennen . Ich habe an jedem Tag deines Lebens an dich gedacht und
werde für den Rest meines Lebens mit einem Lächeln im Herzen an dich denken. Du
hast mich sehr stolz gemacht. Meine Gebete begleiten dich. Mommy.“
Bob Huff, der den Dienst bei der Polizei quittiert hatte,
fand Trost in seiner Leidenschaft, der Musik. Er fügte seinem Album mit 14
selbstkomponierten Gitarrensongs einen weiteren hinzu, „Sun and Moon“, gespielt
von Sam auf ihrer Flöte während ihrer Zeit in der Marching Band. Unterstützt
von seinem Produzenten und finanziert durch Spenden schickte Bob die CD an über
5000 Familien gefallener Soldaten. „Es bedeutet mir viel, das Gefühl zu haben,
etwas für diese Familien zu tun“, sagte er dem TV-Sender KVOA,„ egal, ob sie nur einen Song hören oder alle
15, mir ist wichtig, daß sie sichwenigstens für ein paar Minuten in dieser schweren Zeit etwas besser fühlen.“
Mit ihren letzten Worten hatte Sam ihrem Vater Glück für
sein Album gewünscht, mit seinem Titel erwies Bob ihr die letzte Ehre – „Sun
and Moon“ = SAM.
Maggie, Bob und Sams
Verlobter Nicholas Neally bei Sams Beerdigung, Nationalfriedhof Arlington Va.,28.04.2005
Was bleibt vom Leben dieser außergewöhnlichen jungen Frau, die
ihren Idealen mit soviel Unbeirrtheit, Glauben,Selbstbewußtsein und Mut folgte, bis ein heimtückischer Sprengsatz,
ausgelöst von der Hand eines Fanatikers ihren Träumen ein jähes Ende setzte?
Leslie Ann Garrison versucht am Ende ihrer Biographie eine
Antwort auf diese Frage zu geben:
„Vom Tag ihrer Geburt an führte Sam Huffs Weg, jeder ihrer
Wünsche, all die liebenswürdigen, fröhlichen und nachdenklichen Momente, die
sie mitanderen Menschen in ihrem Leben
teilte, auf direktem Weg zu jener tragischen Nacht an einer staubigen
Straßenkreuzung mitten im Nirgendwo.
Durch ihre Persönlichkeit und ihren Tod drang in unser
Bewußtsein, was die wahren Konsequenzen eines Krieges bedeuten. Als sie starb,
lenkte sie die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Art, wie sie gelebt hatte:
mit Mut, mit großer Freude und aufrichtiger Dankbarkeit für jeden Tag, den sie
auf dieser Welt hatte und mit Liebe im Herzen.
Sie ging, tanzte,
sang und rannte lächelnd durch ihr kurzes Leben, wie ihre Mutter sagte: ´Immer
geradeaus, mit dem Gesicht zur Sonne. ´ “
Sam Williams Huff ( 1986-2005)
EHRE IHREM
ANDENKEN – SIE IST UNVERGESSEN
Textquellen:
Leslie Ann Garrison
„American Daughter – The Sam Huff Story“
Booklocker.com Inc., 2007
ISBN -13 978-1-60145-126-2
„The Departed“
The Rolling Stone Magazine, Ausgabe 1027, 31.07.2007