Si vis pacem para bellum - Freiheit hat einen Preis

Si vis pacem para bellum - Freiheit hat einen Preis

Wenn ihr nach Hause geht, erzählt ihnen von uns und sagt ihnen, daß wir für ihr Morgen unser Heute gaben.

John Maxwell Edmonds

Freitag, 11. September 2015

Wie lange ist ewig?



Arlington, Virginia, 29.05.2015



Wenn ihr kommt, um mein Grab zu besuchen,

wird mein Grab scheinen als ob es tanzt.

                                                                             Rumi

Blick von Kennedys Grab zum Washingtondenkmal


Nachdem er die Armeen des Königs von Preußen und des russischen Zaren in der Schlacht von Eylau besiegt hatte, ritt Napoleon, Kaiser der Franzosen mit den Offizieren seines Stabes über das Schlachtfeld. Großmarschall Duroc, der Jugendfreund und engste Berater des Kaisers war entsetzt über die vielen Toten, mit denen Frankreichs Armee ihren Triumph bezahlt hatte.
„ Das ist keine große Sache, Duroc“ wies der Imperator ihn kalt zurecht „ eine einzige Nacht in den Betten von Paris wird all das wieder gut machen.“
Am Abend, in seinem Zelt schrieb Christoph–Michel Duroc, Herzog von Friaul in sein Tagebuch :  "Niemand haßt den Krieg so sehr wie die, die in ihm kämpfen.“

Die Sonne brennt unbarmherzig vom Himmel über Arlington County. 91 Grad Fahrenheit – das entspricht ungefähr 33 Grad Celsius- sagt der Wetterbericht an diesem Freitag für den Großraum Washington voraus und ich denke etwas wehmütig an mein im Hotelzimmer vergessenes Basecap.  Hinter mir folgt die Ehrengarde des US Marine Corps in ihren blauen Uniformen im langsamen Paradeschritt einem mit der Nationalflagge bedeckten Sarg auf einer Geschützlafette. Arlington National Cemetery, der größte im Betrieb befindliche Friedhof der Welt, führt täglich zwischen drei und fünf Bestattungen durch.

Mein Ziel, Sektion 60, die Ruhestätte der Gefallenen des Krieges gegen den Terror, liegt am entgegengesetzten Ende des Friedhofes, fast in Sichtweite des Pentagon. Zu meiner Rechten, auf der Spitze eines Hügels, erhebt sich ein malerisches, weißes Gebäude, umsäumt von antiken Säulen – Arlington House, das ehemalige Anwesen des Generals Robert E.Lee und seiner Frau Mary Custis Lee. Weil er nicht gegen seinen Heimatstaat Virginia kämpfen wollte, schloß sich Lee, ein überzeugter Anhänger der Union den Südstaaten an und wurde zum gefürchtetsten Gegner der Nordstaatenarmee. Im zweiten Jahr des Krieges, als die Friedhöfe zu klein für die vielen Gefallenen geworden waren, ordnete General Montgomery Meigs, der Generalquartiermeister der Nordstaaten an, das Anwesen des Verräters Lee zu enteignen. Die Gefallenen der Union sollten künftig in Mrs. Lees Rosengarten bestattet werden, mit Blick auf den Potomac und das Weiße Haus.

Am Fuß des Hügels, inmitten eines weiten Atriums liegt der jüngste Präsident der USA bestattet, an der Seite seiner Frau und seines Bruders. Ich denke an ihn und an das, was mich hierher geführt hat, ein altes, zerlesenes Magazin, den „Rolling Stone“, mit der Geschichte der Soldatin Sam.
„Wir haben uns dazu entschlossen, zum Mond zu fliegen und all die anderen Dinge zu tun, nicht etwa, weil sie so leicht zu erreichen wären, sondern gerade deshalb, weil sie so schwer sind.“ rief  John F. Kennedy kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten Studenten in Houston zu.
„ Ich will den Leuten beweisen, dass ich etwas kann“ antwortete Sam, das achtzehnjährige Mädchen aus Tucson im US-Bundesstaat Arizona ihrem Zugführer im Irak auf seine Frage, warum sie zur Armee gegangen war.

Arlington House mit dem Familiengrab der Kennedys


Für gewöhnlich sind Friedhöfe sind Orte, an denen man Menschen begegnet, die ihr Leben gelebt haben, deren Gräber von Kindern oder Enkeln mit Blumen geschmückt werden. Als ich zum  ersten Mal Sektion 60, das riesige, fast exakt rechteckige Gräberfeld am nordwestlichen Ende Arlingtons durchschreite, denke ich unwillkürlich an die Worte des Dichters Maxwell Edmonds, seine Inschrift für das Denkmal gefallener Soldaten des 2.Weltkrieges: „Wenn du nach Hause kommst, erzähle ihnen von uns und sage ihnen, dass wir für ihr Morgen unser Heute gaben.“ Kein Präsident, kein ranghoher Militär oder Prominenter liegt hier begraben, kaum eine der Inschriften auf den  gleichförmigen, weißen, exakt ausgerichteten Grabsteinen zeigt ein Lebensalter von mehr als 30.
Sektion 60 liegt an diesem Tag fast vollkommen verlassen im gleißenden Sonnenlicht, nur vier Soldaten der US Army in ihren blauen Dress-Blue Galaunifomen gehen langsam von Grabstelle zu Grabstelle. Vielleicht sind sie auf der Suche nach einem bestimmten Grab, genau wie ich.
Vier Tage nach Memorial Day, dem amerikanische Gefallenengedenktag sind viele Gräber noch mit Blumen und persönlichen Gegenständen geschmückt. Viele Familien der aus den ganzen USA stammenden Gefallenen mögen nur dieses eine Mal im Jahr oder noch seltener die Gelegenheit haben, ihre Lieben zu besuchen.
An der Rückseite eines Denkmals fällt mir etwas auf, eine Art Brief, zusammen mit einer Kinderzeichnung in einer Plastiktüte. „ Ich habe dich lieb. Ich weiß, dass du mich auch lieb hast. Du bist der beste Papa auf der Welt. Kendall.“ Darunter hat das Mädchen, das vielleicht acht, neun Jahre alt sein mag sich, Mama und Papa gezeichnet, den Vater in grüner Uniform. Ich gehe langsam um den Stein herum, notiere mir den Namen und die Nummer in meinem Handy, ich weiß, dass ich mehr darüber wissen muß.

Den beiden jungen Menschen, die zu besuchen ich mir vorgenommen habe, fehlt jeglicher Grabschmuck. So bin ich doppelt froh über die beiden Blumensträuße mit den kleinen Flaggen, die ich mitgebracht habe, einen für die Obergefreite Sam Williams Huff, 18, aus Tucson, Arizona, Grabstelle 60/8109, denen anderen für das Grab Nr.60/8557, die letzte Ruhestätte des Corporals Steven Robert Koch, 23, aus Milltown, New Jersey.




„In einhundert oder mehr Jahren wird es ohne jede Bedeutung sein, in welchem Haus ich gewohnt, wieviel Geld ich verdient oder welches Auto ich gefahren habe. Jedoch könnte die Welt dann eine andere, bessere sein weil ich im Krieg gegen den Terror meinen Posten nicht verlassen habe. Wenn ich dafür durch die Hölle gehen muß, werde ich gehen und mein Blut über unsere Fahne vergießen, damit ihre Streifen rot bleiben.“ schrieb Steven, der Fallschirmjäger kurz vor seinem Tod in Afghanistan an seine Mutter Christine.

Gut zwei Wochen vor Beginn unseres Urlaubes, am 6.Mai, kam ich am späten Abend von der Arbeit  und fand bei Facebook einen langen Eintrag Christines, einen Gefühlsausbruch wie ich selten zuvor einen gesehen hatte. Vier Tage vor Muttertag, am fünften Todestag ihrer Tochter Lynne, die sich von Gram über den Tod ihres Bruders zerfressen das Leben nahm, hatte der Schmerz und die Hoffnungslosigkeit die Krankenschwester übermannt. „Garbage“ (Müll) sei sie für den Rest der Welt, niemand würde sich für das Leid ihrer Familie interessieren.  Ich verbrachte die halbe Nacht damit, mit der verzweifelten Frau zu chatten, ihr Mut zuzusprechen. Gegen Morgen, als es schon wieder hell wurde, erzählte ich ihr von unserer Reise und versprach ihr, das Grab ihres Jungen zu besuchen.
Christine bedankte sich, aber ich hatte in ihrer Reaktion den Zweifel gespürt, so dass ich nun, trotz der beklemmenden Umgebung, ein wenig zufrieden mit mir bin.






Minuten später sitze ich im Gras in der Sonne, vor Sams Grab, die Augen halbgeschlossen und höre über mein Headset „ihren“ Song. Ihr Vater Bob, ein passionierter Musiker, war dabei, seine erste CD aufzunehmen, als Sam in den Krieg zog. Ihre letzten Worte waren: „Ich wünsche Papa viel Glück für sein Album.“ Bob Huff fügte seiner CD die einzige Aufnahme hinzu, die im von Sam und ihrem Spiel auf der Flöte geblieben war. Er nannte den Song und das Album „Sun and Moon“ – Sam.
Die Musik ist verklungen und als ich die Augen aufschlage, bemerke ich, wie die vier Soldaten einen respektvollen Bogen um mich machen. Langsam nehme ich mein Armband, dass ich Tage zuvor aus der Gedenkstätte für die Opfer des 11. September 2001 mitgebracht habe, von meinem rechten Handgelenk, lege es auf den Grabstein und wende mich zum Gehen. 



Mein letzter Blick fällt auf die Rückseite des Steins, der das Grab von Sams Mutter Maggie markiert, die 2009 an Krebs starb und nun Seite an Seite mit ihrem einzigen Kind ruht. „Keine Entfernung, keine Zeit vermag unsere Herzen zu trennen . Ich habe an jedem Tag deines Lebens an dich gedacht und werde für den Rest meines Lebens mit einem Lächeln im Herzen an dich denken“ stand in dem Brief, den Maggie Sam mit in den Irak gab. Wenige Wochen nach Sams Beerdigung vertraute sie der Journalistin Leslie Garrison, einer Schulfreundin ihres Mannes an: „ Wir wachen jeden Morgen weinend auf und denken: Mein Gott, wie lange ist ewig?“






Vorbei an den endlos scheinenden Reihen weißschimmernder Grabsteine fahre ich mit der U-Bahn zum Pentagon, zum zweiten der drei Schauplätze jenes schicksalhaften Tages, der auf so dramatische und unabänderliche Weise in das Leben von Sam, Steven, Bob, Maggie, Christine und vieler anderer eingriff.
Vor der Seite des Gebäudes, in die am 11.September 2001 Flug 77 der American Airlines einschlug, wurde den insgesamt 184 Opfern ein Ehrenhain errichtet. Im Schatten von 184 Bäumen fließen unter 184 Bänken 184 ewige Quellen. Zusammen mit einer der zahlreichen Schulklassen auf Jahresabschlussfahrt, die an diesem Wochenende die Hauptstadt bevölkern, blicke ich auf die Fassade, an deren unterschiedlicher Färbung die Abmessungen des Flugzeuges exakt auszumachen sind. Die Jugendlichen hören ihrem Lehrer und einem Pfarrer zu, manche von ihnen formen aus Kieselsteinen kleine Kreuze auf einigen der Bänke. Ich lege ein paar Steine dazu, dann setze ich mich auf die Bank in die der Name des Toten eingraviert ist.





Zurück in meinem Hotel schicke ich über mein Iphone einige der Bilder vom Friedhof auf Christines Facebookseite, widme sie Steven und seiner Schwester, dann suche ich im Internet nach der Geschichte des Mädchens mit der Zeichnung. Oberfeldwebel Scott Brunckhorst fiel am 30.3.2010 in Afghanistan als seine Tochter Kendall 3 Jahre alt war. Sie ist also heute acht und wird kaum viele bewusste Erinnerungen an ihren „besten Papa der Welt“ haben.
Unwillkürlich muß ich an die vielen Väter denken, die freiwillig darauf verzichten, ihr Kind aufwachsen zu sehen, als ich das kleine rote Kommentarsymbol auf dem Display meines Smartphones entdecke : „Ich schreibe das mit Tränen in den Augen, ich danke dir so sehr, es bedeutet die Welt für mich, dass du nicht nur an Steven, sondern auch an Lynne gedacht hast. Es tut immer noch so weh, jeder Tag aufs Neue ist ein Kampf,  aber das hier hilft mir für eine gewisse Zeit….“

Heute, am 11. September, dem 14. Jahrestag des Beginnes eines Krieges, von dem wir heute noch nicht ahnen, wie lange er noch dauern und wie sehr er unsere Welt verändern wird, denke ich an die Menschen, die mich durch diesen Tag im Mai in Virginia begleitet haben.

An Robert E. Lee, den Gentleman und genialen Feldherrn, der gegen seine Überzeugung seiner Heimat treu blieb und sie doch nicht retten konnte und der während einer der härtesten Schlachten erkannte: „ Es ist gut dass der Krieg so grausam ist, wir könnten sonst wohlmöglich Gefallen an ihm finden.“
An Bob, den Polizisten und passonierten Musiker, der eine glückliche Familie hatte als der Krieg ausbrach, heute allein lebt und seine CD , auf der er dass letzte Mal mit seiner Sam spielt, an 4000 Familien Gefallener schickte.
An John F. Kennedy, der wenige Wochen bevor ihn die Kugeln des Attentäters Oswald trafen, ahnungsvoll schrieb: „Ein Mann kann sterben, eine Nation steigen und fallen, eine Idee aber lebt ewig.“
An Christine, die jeden Tag ihre Kraft ihren krebskranken Patienten widmet, die an jedem Tag ihren Schmerz über den Verlust ihrer Kinder mit der Welt teilen muß und so anrührend dankbar für jedes mtfühlende Wort ist.
An die jungen Menschen, die am 11.September 2001 im Grundschulalter waren und heute in der Sektion 60 zu ihrer letzten Ruhe gebettet werden, weil sie der Pflicht, ihrem Land zu dienen auch nach 14 Jahren Krieg gefolgt sind.
Schließlich an Montgomery Meigs, den Begründer Arlingtons.
Als Montgomery Meigs davon erfuhr, wer als erster Soldat dort bestattet werden sollte, hob er das Grab in Mrs. Lees Rosengarten selbst aus.
Es war sein eigener Sohn.

Einhundertfünfzig Jahre später, in einer Zeit, da die Menschen sich daran gewöhnt hatten, den Krieg wie ein Videospiel zu betrachten, trug ein junger Soldat den leblosen Körper seines besten Freundes, der neben ihm gefallen war, vom Schlachtfeld.

Der junge Soldat war freiwillig, aus tiefster Überzeugung in diesen Krieg gezogen und er war bereit, ihn bis zum Ende zu kämpfen.
Doch an jenem Tag hatte ihn der Krieg die Lektion des Marschalls Duroc gelehrt.
Der junge Soldat begann den Krieg aus tiefster Seele zu hassen
Er hatte das Auge der Bestie gesehen.



 Den Gefallenen des Krieges gegen den Terror 11.09.2001- heute

EHRE IHREM ANDENKEN - SIE SIND UNVERGESSEN